Allgemeines zu Calacuccia
Calacuccia
Calacuccia ist die Hauptstadt des Niolo. Der Niolo ist diese in der Mitte von Korsika gelegene, isolierte Landschaft, die vom oberen Flußgebiet des Golos gebildet wird: ein majestätisches Amphitheater mit einer Länge von zwanzig Kilometern, höchstens sechs oder sieben Kilometer breit und in der Mitte fast 900 m hoch.
Im Norden der Cinto und ein Gewirr von Gipfeln bilden eine ununterbrochene Barriere, deren Kamm beinah überall 2000 bis 2600 m Höhe erreicht. Die einzige Möglichkeit, in diesen riesigen Talkessel zu gelangen, bietet sich an den äußeren Enden.
Der Vergiopaß, 1464 m, im Westen und der Engpaß von Scala di Santa Regina im Osten. Dieser Straßenzugang stammt noch dazu aus jüngster Vergangenheit.
Zu Beginn des Jahrhunderts war der Niolo mit der übrigen Insel nur durch Holzfällerpfade und durch eine Art in den Fels gehauener Treppe verbunden, die heute zu einem Pfad für Ausflügler geworden ist und den Namen Vieille Scala trägt; im Winter lebten die Bewohner des Niolo, vom Schnee blok-kiert, völlig auf sich selbst gestellt.
Noch heute sind sie als große Individualisten mit dieser geographischen Lage zufrieden.
Wahrscheinlich Nachkommen islamisierter Korsen oder Uberlebende der sarazenischen, von Ugo Colonna in der Nähe von Corte geschlagenen Truppen (siehe Kapitel »Überblick«), fanden sie in diesem Hochland von Almen und Wäldern eine Zuflucht.
Dort brauchten sie keine Plünderer und Eroberer mehr zu fürchten. Ihre Dörfer sind nicht wie woanders Adlerhorste, die stets wachsam bleiben müssen, sondern Dörfer mit massiv gebauten, einladenden Häusern, an den Hängen verstreut, an den Wegen entlang sich hinziehend, in feuchten Schluchten verloren.
Die Herden, die Wälder und die Edelkastanien brachten lange Zeit gute Erträge. Trotz der Höhe trugen Getreide und sogar einige Obstbäume zum Auskommen der Bewohner des Niolo bei.
Diese Gebirgler mit ihren runden Gesichtern, klein, eher untersetzt, zeigen sich häufig zum Scherzen aufgelegt. Sie haben eine ausgesprochene Neigung zur Diskussion, zum Wortstreitund zur Poesie.
In jedem Jahr finden in Casa-maccioli am 8. September die Feiern zu Ehren der Santa di Niolu, Notre-Dame du Niolo, statt; hier bietet sich die Gelegenheit zu rednerischen Zweikämpfen zwischen den »örtlichen Dichtern«, eine Art satirischer Sänger, die über die Wunderlichkeiten des Nachbars und die Ereignisse im Dorf improvisierend herziehen.
Diese Spiele werden immer seltener, aber in einer noch nahen Vergangenheit kostete man sie bis zum Ende aus, und sie dauerten zuweilen drei Tage. Die Natur hatte in dieser Dichtung, die vom Leben des Alltags und von den Ereignissen Korsikas völlig durchtränkt war, keinen Platz. Manchmal wurden die Worte durch eine kleine Melodie unterstützt, die sich aus einfachen, langsamen, von Sehnsucht erfüllten Themen entwickelte und in vielen Einzelheiten an Lieder der Berber erinnerte.
Im Niolo findet man keine Vocero-sängerinnen und öffentlich als solche anerkannten Dichter mehr, aber bei allen Bewohnern begegnet man bei der üblichen Unterhaltung Intelligenz, Scharfsinn und Geist.
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