Ein Brief an das Kind
Die Regelung in Frankreich Von Madeleine Bierlein
Die anonyme Geburt hat eine lange Tradition in Frankreich. 1793 wurde erstmals festgelegt, dass der Staat für die Kosten der Entbindung aufkommt. Die Mutter durfte schon damals ihren Namen geheim halten. 1941 führte das Vichy-Regime das noch heute bestehende Gesetz zur anonymen Geburt ein. Es sollte Frauen eine Alternative zur Abtreibung bieten, auf die die Todesstrafe stand. Das Prozedere ist einfach: Eine schwangere Frau kann, wenn sich die Geburt ankündigt, jede öffentlichen Klinik in Frankreich aufsuchen. Möchte die werdende Mutter anonym bleiben, wird sie darum gebeten, ihren Ausweis in einem zugeklebten Umschlag zu hinterlassen. Er wird nur geöffnet, falls die Frau stirbt. Geht alles gut, bekommt sie den Umschlag bei der Entlassung zurück. Nach der Geburt trägt das Krankenhaus in der Geburtsurkunde des Kindes statt der Namen der Eltern ein "x" ein. Das Baby wird zur Adoption freigegeben. Allerdings ist diese Entscheidung erst nach zwei Monaten rechtskräftig. Bis dahin hat die leibliche Mutter Zeit, sich noch für ihr Kind zu entscheiden. Doch in welchen Situationen stecken Frauen, die diesen Weg wählen? Das Forschungsinstitut CNRS hat darauf zumindest teilweise Antworten. So hat die Auswertung anonymer Fragebögen ergeben, dass zwei Drittel aller Mütter, die anonym entbinden, jünger als 25 Jahre sind. Nur fünf Prozent der Väter wissen von der Geburt. Immerhin jede zweite Frau ist nordafrikanischer Herkunft, drei von vier Befragten gaben an, überhaupt kein eigenes Geld zu haben. Die meisten minderjährigen Frauen erklärten, dass sie die Schwangerschaft erst entdeckt hatten, als es für eine Abtreibung zu spät war. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung wurden aber weniger als zehn Prozent der Kinder durch Vergewaltigungen gezeugt. Der Paragraf 341 des französischen Gesetzbuches, wonach "eine Mutter bei der Geburt verlangen kann, dass das Geheimnis ihrer Herkunft und ihrer Identität gewahrt wird", war in den vergangenen Jahre einigen Veränderungen unterworfen. So darf die Mutter seit 1996 ihrem Kind einen Brief mitgeben. Seit 2001 sind die Krankenhäuser sogar dazu verpflichtet, Frauen zu einer Botschaft zu ermutigen, die das Kind als Erwachsener erhält. Die Mütter können darin ihre Identität, Herkunft, Religion sowie Informationen über den Vater mitteilen und ein Bild beilegen. Geraten wird auch, dass sie sich zu den Umständen von Schwangerschaft und Geburt äußern. Eine Pflicht, Daten zu hinterlassen, gibt es allerdings nicht. Die Gesetzesänderungen kamen vor allem auf Druck der "sous x" geborenen Franzosen zu Stande. Die Organisation Cadco, die die anonym Geborenen vertritt, fordert seit langem ein Recht auf Herkunft. Sie macht geltend, dass Kinder, die nichts über ihre Abstammung wissen, oft ihr Leben lang unter dieser Unkenntnis leiden.
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