Ile de Re - Arme Millionäre
Der Aufstand der armen Millionäre
Der Zuzug der Reichen aus Paris hat aus den Bauern der Ile de Re wohlhabende Menschen gemacht — und ihr Leben verändert.
Manchmal ist sich Rene Masse nicht mehr sicher, was er eigentlich ist. Kleinbauer? Rentner? Millionär? Er weiß dann nur, was er zeitlebens war: Winzer auf der Ile de Re, dieser 25 Kilometer in den Atlantik hineinragenden Insel vor La Rochelle.
Masses Hände sind auf alle Fälle noch so kräftig, wie sie für die Arbeit auf dem Feld zu sein haben. Wind und Wetter haben dazu beigetragen, dass sich Pullover, Hemd und Jacke einander farblich annähern. Ganz in Beige steht er vor seiner Wohnstube; wo sich stapelt, was der 78-Jährige dem Leben abgetrotzt hat: das Sonntagsgeschirr in der Vitrine, das Sofa mit den Schonbezügen, der als Schreibtischschatulle herhaltende Bierkrug, die Ehrenurkunde des Altenmusikvereins.
Wenn sich diese Zweifel eingeschlichen haben, dann deshalb, weil Masse Post bekommen hat. Die Finanzverwaltung teilt mit, dass er und seine Frau Jacqueline mit 1.000 Euro Rente und drei Hektar Land Millionäre seien.
„Hier ist der Beweis", sagt Masse und zieht Papiere aus einer Mappe, aus denen hervorgeht, dass er jährlich 15.000 Euro Vermögenssteuer entrichten soll. Anders als es die weit aufgerissene Augen des Mannes vermuten lassen, ist er allerdings nicht Opfer behördlicher Willkür.
Rechtlich hat alles seine Richtigkeit. Wer in Frankreich mehr als 732.000 Euro Vermögen besitzt, ist vermögenssteuerpflichtig. Der Wert von Masses Haus und Acker liegt darüber.
Die Brücke sei schuld, glaubt der zu Krösus erklärte Kleinbauer. Seit 1988 verbindet das Viadukt die Insel mit dem Festland. Und seit jener Zeit strömen Frankreichs Reiche auf das flache Eiland mit den von Bausünden verschonten Dörfern, den Pinienhainen, Salzmarschen, Weinäckern und Dünen.
Als Saint-Tropen am Atlantik gilt die Ile de Re. Aber das stimmt nicht ganz, bleiben hier doch anders als an der Cöte d'Azur Frankreichs „gute Familien" weitgehend unter sich. Abgänger der Eliteschulen, Politiker wie der frühere Premier Lionel Jospin, Künstler wie Charles Aznavour, Pariser Staranwälte und Chefärzte, auf der Ile de Re leben sie in trauter Nachbarschaft.
Verkaufen kommt überhaupt nicht in Frage
Die wachsende Nachfrage hat die Immobilienpreise in den Himmel steigen lassen. 400 bis 700 Euro kostet heute der Quadratmeter bebaubaren Inselbodens, 57 Immobilienmakler haben sich auf der Ile de Re niedergelassen. Schöner kann man ja auch kaum wohnen als in diesen nicht verfallenen, aber auch nicht kaputt-renovierten Dörfern, umgeben von türkisblau schimmerndem Meer.
Masse und seine Kollegen haben sich im Verein zur Verteidigung der Bewohner der Ile de Re zusammengetan. Angeführt von der streitbaren Hotel- und Restaurantbesitzerin Valerie Constancin, ziehen sie gegen die Vermögenssteuer zu Felde. Wobei das Leid innerhalb der Bürgerinitiative ungleich verteilt scheint.
Den Bauern Andre Sourisseau hat es offenbar besonders schlimm getroffen. Wie ein angeschlagener Boxer steht er in seinem zu Bauland erklärten Schrebergarten, den massigen Körper trotzig aufgerichtet, die Arme hilflos baumelnd. Mitte Oktober ist es. Die Tomatenstauden tragen noch immer, die Hortensienblüten haben, Fußballgröße erreicht.
Finanziell geht es dem 79-jährigen Witwer ähnlich wie Masse. Sourisseau lebt von knapp 1000 Euro Pension, die er sich als Halbtagsbauer und Hilfsbriefträger verdient hat. Von dem Geld bestreitet er den eigenen Lebensunterhalt.
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