Marionettentheater in Lyon

Das genaue Geburtsdatum Guignols ist so ungewiß wie das seines Schöpfers Laurent Mourguet, dessen ungeachtet beging Lyon 1988 seinen 180. Geburtstag.

1808 gab es bereits ein Puppentheater, doch waren dessen Charaktere nicht der französischen Gesellschaft entwachsen, sondern von der italienischen Commedia dell'arte übernommen.

Guignol wurde die Verkörperung des Lyoner Webers, der alle Charakterzüge der handarbeitenden Klasse vereinigt. Er lacht über seine eigenen Fehler und macht sich die der anderen zunutze. Er karikiert den canut in bisweilen maßloser Weise, doch immer liebevoll, niemals bissig. Ein spöttischer Schalk, der seine Schlauheit in Naivität kleidet, der gern foppt, aber nie verletzt. Er spricht mit leicht tranigem Akzent, lispelt sogar hin und wieder.

Der erste Eindruck ist der eines gutmütigen Dümmlings. Doch das täuscht. Hinter Stupsnase und blauen Augen wacht ein scharfer Geist. Die Narren hatten an Königshöfen bekanntlich die größte Redefreiheit, und was ein braver Bürger nicht zu sagen wagte, konnte sich der launige Guignol erlauben.

In den Stücken spiegelt sich das Auf und Ab des Weberalltags, sie zeugen auch von dem immerwährenden Kampf um bessere Lebensbedingungen. Guignol war mehr als ein drole, er las der Gesellschaft die Leviten; er war kein Kinderkasper, eher ein Possenschneider mit sozialkritischem Anspruch.

Das Marionettentheater ersetzte den Webern Fernsehen, Kino, Nachtleben und Feierabenderholung in einem. Die vier Hauptpersonen der Stücke sind Guignol, der keine Schicksalsschläge fürchtet, sondern selbst immer kräftig zuschlägt, Gnafron, sein schnapsnasiger Freund "avec l'air de clochard", Madelon, die treue Gattin, etepetete und immer ein bißchen zu streng frisiert, und schließlich Louisson, Guignols Tochter, die personifizierte Lebensfreude.

Heute haben diese Helden ihre intelligente Bissigkeit verloren. Ein Besuch der zahlreichen Marionettenbühnen Lyons lohnt sich nur noch wegen des fröhlichen Kinderpublikums.