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Lyon, von der Rhone aus erlebt

 

 

 

 

Wer in Bildbänden älteren Datums blättert, bekommt ein idyllisches Bild von Lyon vorgesetzt. Liebespaare tändeln an der Rhone, in den Bäumen der Uferalleen säuselt der Wind, Spaziergänger flanieren auf den Quais zu beiden Seiten des Flusses. Heute sieht leider alles anders aus.

Lyon ist längst zu einer Millionenagglomeration herangewachsen, die Motorisierung fordert ihren Tribut. Die Rhonequais sind mehrspurige Rennbahnen geworden, die der Fussgänger nur bei Lebensgefahr überschreitet, es sei denn, der Stossverkehr bremse die Mobilität. Dann drehen Tausende von Motoren viertelstundenlang im Leerlauf, und die dabei ausgestossenen Abgase sind der Uferromantik abträglich.

Wer in der Rhonemetropole die Rhone erleben will, muss sich selbst aufs Wasser begeben. Am Ostufer, beim Pont de l‘Universite, warten Ausflugsschiffe auf Fahrgäste. Bei Voranmeldung kann man während der Fahrt auch fürstlich speisen und trinken. Schliesslich ist Lyon ein Zentrum der Gastronomie. Da sitzen wir also und lassen die Bürgerhäuser mit ihren Dutzenden von Kaminen vorbeiziehen. Lyons Wasserfront auf beiden Rhoneufern ist durch das 19. Jahrhundert geprägt, und die stattliche Architektur verrät den Wohlstand. Der historische Stadtkern, dem später ein Abstecher unseres Schiffsausflugs gelten wird, liegt weiter westlich am Ufer der Saone, gleich unter dem Fourviere-Hügel.

In fast regelmässigen Abständen von 400 oder 500 Metern wird die hier mit ihren 200 Metern nicht übermässig breite Rhone von Straßenbrücken überspannt. Trotz dieses Angebots vermögen die Verbindungen den Verkehr nicht jederzeit zu bewältigen.

Auf dem Wasser aber hat‘s Platz genug und auch einen Hauch frischer Luft Mitleid erfasst uns beim Anblick der letzten kümmerlichen Alleebäume längs der Ufer, die heldenhaft im Abgasdunst ausharren.

Die Rhonebrücken tragen ihre Namen nach verdienten Männern, häufig Politikern oder Generälen, oder dann nach geographischen Bezeichnungen. Der Strömung entgegen von Süden nach Norden treffen wir an: Pont Pasteur, Pont Gallieni (führt zum Hauptbahnhof Lyon-Perrache auf der Halbinsel), Pont de l‘Universite, Pont de la Guillotiere (führt zum altehrwürdigen Spital Hotel-Dieu und zur Place Bellecour, ersetzte 1958 die baufällig gewordene Brücke aus dem 13. Jahrhundert), Pont Wilson, Pont Lafayette, Passerelle du College (vielleicht winken hier einige hübsche Gymnasiastinnen; in der Verlängerung gegen Osten die dem Märtyrer- Bischof Pothin geweihte Kirche im Stil eines griechischen Tempels), Pont Morand, Pont de Latte de Tassigny, Pont Winston Churchill, Pont Poincart. Die Passerelle du College, eine Hängekonstruktion, ist die einzige Fussgängerbrücke.

Eine Gedenktafel erinnert an ihre Zerstörung durch die abziehenden Deutschen im Herbst 1944 sowie ihre Wiederherstellung bald nach dem Waffenstillstand von 1945.

Am östlichen Rhoneufer liegen, den Bug flussaufwärts gerichtet, einige Schiffe vor Anker. Die typischen Frachtkähne freilich sieht man hier selten. Ihr Umschlagplatz ist der ausgedehnte Flusshafen Edouard Herriot (benannt nach einem Lyoner Bürgermeister und späteren französischen Ministerpräsidenten, der sich sehr für den Wasserverkehr eingesetzt hat) im industriellen Süden der Stadt, kurz nach der Einmündung der Saone in die Rhone. Was im Stadtzentrum ankert, vermittelt einen guten Eindruck wofür alles die Rhone zu gebrauchen ist: Da hat‘s ein Kreuzfahrtenschiff, die «Arlene», bereit zur mehrtägigen Bummelfahrt flussabwärts nach Arles, Privatjachten jeder Grösse und jeden Alters, die das weitverzweigte Binnengewässernetz Frankreichs befahren, ein Baggerschiff zum Ausbaggern des kiesig-schlammigen Grundes, schliesslich ein Fischerboot, das sein Netz an einem Ausleger in die erstaunlich rasch dahintreibende Strömung taucht.

Auch abseits der Rhone ist diese Wasserader in Lyon mancherorts gegenwärtig. Auf der Place des Terreaux etwa, wo zur Römerzeit Rhone und Saone ihre Wasser mischten, hat der Bildhauer Bartholdi ein monumentales Denkmal geschaffen; vier Pferde, die vier grossen Flüsse Frankreichs symbolisierend, galoppieren ihren Meeren entgegen.

Nördlich des Platzes erhebt sich die Anhöhe von Croix-Rousse. Dort wohnten früher die Schiffersleute. Im Süden der Place des Terreaux öffnet sich die Place Bellecour, mit ihren Ausmassen von 300 auf 200 Meter einer der grössten Plätze Frankreichs. Zwei Bronzestatuen stellen die Rhone und die Saone dar.

Von ganz anderer Seite zeigt sich die Rhone im Nordwesten Lyons. Durch zwei Kanäle, den Canal de Miribel im Norden und den Canal de Jonage im Süden, ist eine Insel mit einem ausgedehnten Vergnügungspark entstanden (Parc dc Loisirs de Miribel). Mitten hindurch schlängelt sich, teilweise von Auenwald gesäumt, ein Altlauf der - Rhone, le vieux Rhone. Mehrere künstlich geschaffene Wasserflächen geben den Lyonern, was ihnen die Natur vorenthalten wollte: Seen, um nach Herzenslust die Freizeit zu geniessen.

Überhaupt verstehen es die Einwohner dieser ebenso geschäftigen wie geschäftstüchtigen Stadt, aus ihrer Umgebung das Beste zu machen.

So gibt es am Fourviere-Hügel gar eine kleine Skipiste. Aber wer möchte jetzt Ski laufen, wo doch die sonnige Provence lockt? Der Sonnenschein will verdient sein. Bevor wir ihn geniessen können, müssen wir uns durch ein langgestrecktes Industriegebiet quälen.