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Feste in Südfrankreich nach Themen - Kuchen

 

 

 

Kuchen für das Volk

In ganz Südfrankreich bekommt man eine Kuchensorte namens fouace.

Es handelt sich um einen einfachen, hellgelben Kuchen mit Vanillearoma, der mit Zucker bestreut ist und eine längliche Form hat. Er ist so trocken, daß so manche Konversation stockt, und er ist nur mit viel Flüssigkeit zu genießen.

Großzügig mit hausgemachter Marmelade und einem Löffel Creme fraiche bestrichen, dazu ein Glas süßer weißer Gaillack zum Hinunterspülen, schmeckt er jedoch vorzüglich.

In dem mittelalterlichen Dorf Najac hat dieser Kuchen eine ganz besondere Bedeutung.

Er steht im Zentrum des Dorffestes, das jedes Jahr am ersten Wochenende nach dem 15. August stattfindet.

Für diesen Anlaß wird kein gewöhnlicher Kuchen gebacken, sondern ein Riesenkuchen, der im größten Backofen des Bezirkes hergestellt wird. Er hat die Form und Größe eines Schlauchbootes und muß mit einem Traktor transportiert werden.

Als Höhepunkt des dreitägigen Festes von Najac wird das überdimensionale Backwerk auf einem Festwagen durch das Dorf geführt, bevor es in mundgerechte Stücke zerteilt und an die Menschenmenge ausgegeben wird.

Wie die Geschichte der Stadt Najac ging auch jene des fouace in den vorrevolutionären Wirren verloren.

Wie kam dieser Kuchen zu seiner symbolischen Bedeutung? Wurde er verteilt, um das Ende einer Hungerperiode zu feiern? War er ein Mittel, um die Steuern zu umgehen, die man während der Monarchie zahlen mußte, wenn man den öffentlichen Backofen benutzte?

War er ein Geschenk der Kirche an die Armen? Wie auch immer, Najac ist jedenfalls die einzige Stadt Frankreichs, in der ein so monströses Backwerk durch die Straßen getragen wird.

Ein weiteres Merkmal des Festes von Najac ging in den letzten Jahren verloren. Früher fanden nämlich zwei Feste gleichzeitig statt, deren heftige Rivalität oft in Gewalttätigkeiten endete. Diese Konkurrenz erklärt sich teilweise durch die Anlage der Stadt und ihre außergewöhnliche geographische Lage in der Region.

Der Fluß Aveyron verleiht einem der größten, wildromantischsten und unbekanntesten Departements Frankreichs den Namen. Er zwängt sich über weite Strecken durch wilde Schluchten mit senkrechten Steilufern, die mit Eichen und Kastanienbäumen bewachsen sind. An den wenigen Stellen, an denen sich der Fluß in einer Ebene verbreitert, entstanden Städte wie Najac.

Najac entwickelte sich ungleichmäßig. Am äußersten Ende befinden sich, an einen Felsvorsprung gezwängt, die Ruinen eines mittelalterlichen Schlosses, das die Umgebung weithin überragt. Von hier führt eine enge Gasse, die von alten, teilweise baufälligen Häusern gesäumt ist, etwa einen Kilometer entlang einer Hügelkette zu einer Seitenstraße, die zur alten Getreidemarkthalle abzweigt.

Von hier aus verläuft die Hauptstraße steil abfallend zur Hochebene zurück. Dieser Stadtteil nennt sich Quartier Bas.

Alles was höher liegt, heißt Quartier Haut Dieser Stadtteil blickt auf eine weniger lange Geschichte zurück, weshalb man im Quartier Bas den Snobismus des höheren Alters pflegt.

Früher befand sich das alte Stadttor am Beginn dieser Straße, in der die Gebäude einander über die schmale Straße hinweg beinahe berühren. Dahinter beginnt die moderne Vorstadt, in der sich Post, Polizeiwache und Finanzamt befinden. Hier ist auch der große Platz, auf dem Autodrom, Karussell und andere Einrichtungen für das Fest aufgebaut werden.

Im Quartier Bas werden derart vulgäre Vergnügungen abgelehnt. Die Rivalität zwischen den beiden Bezirken besteht seit Jahrhunderten und erklärt sich durch die außergewöhnliche Topographie der Stadt.

Jene, die im Umfeld des Schlosses lebten, mußten eine halbe Tagesreise hinter sich bringen, wenn sie zur Post wollten. Das Fest war die sichtbare Manifestation der gespaltenen Stadt. Jedes Viertel brüstete sich, das größere Backwerk herzustellen, den schöneren Fackelzug, das spektakulärere Tanzvergnügen, die ausgelassenere Band zu besitzen.

Aber die Umzüge machten nicht an den Grenzen des eigenen Stadtteils halt. Die Konfrontation der beiden Gruppen, das Eindringen in das Territorium des Nachbarn, waren Teil des Vergnügens.

Die Zweiteilung des Festes währte bis zum Zweiten Weltkrieg, als alle Feste verboten wurden.

Nach dem Krieg gab es noch eine Weile zwei Feste, aber der Geist der Rivalität war verschwunden. Najac verlor an Bedeutung für die Nachbarstädte, und die Bevölkerungszahl ging langsam aber stetig zurück.

1982 schließlich beschloß man die Zusammenlegung der beiden Feste.

Der erste Festtag, der Samstag, ist ein ruhiger Auftakt für das kommende Spektakel. Lokale Produzenten bieten Spezialitäten wie Ziegenkäse an.

In der Hauptstraße drängen sich mehr oder weniger seriöse Künstler, die altes Handwerk vorführen. Wenn Sie interessiert daran sind, wie ein Knäuel Wolle entsteht oder wie ein Pferdesattel hergestellt wird, sind Sie hier richtig.

Alte bäuerliche Techniken, wie das Abstreifen von Mais werden demonstriert. Die Kunst der Korbflechterei hat an manchen Orten überdauert und erlebt sogar einen Aufschwung — die Zuwanderung von Zweitwohnungsbesitzern hat dafür gesorgt, daß kein Wochenendurlauber auf dem Markt ohne passenden, rustikalen Korb auftaucht.

Der barriou, wie die Hauptstraße genannt wird, ist etwa 50 Meter breit und für größere Darbietungen geeignet.

Die Franzosen haben eine Vorliebe für alte Autos, und beim Fest von Najac ist immer eine große Auswahl zu sehen.

Große Peugeot- und Citroen-Salons zeigen luxuriöse Karosserien und Zubehör. Es gibt auch alte Traktoren aus den 50er Jahren, als die Maschinen zum ersten Mal im eher konservativen bäuerlichen Milieu auftauchten. Es ist ein Jammer daß es nicht einmal mehr Hinweise auf die Aktivitäten gibt für die Najac einst berühmt war, und die es zu der reichen Stadt machten, die es noch vor 100 Jahren war.

Als die Hügel noch mit Weinstöcken bedeckt waren, bedeutete die Herstellung von Fässern ein wichtiges Gewerbe im Dorf.

Es gab auch Kupfer- und Zinnminen imTal die mitlerweile völlig abgebaut sind.

Berühmt war Najac aber vor allem für seinen Schinken, der einen einrigartigen Ruf besaß. Die Schinkenkeulen wurden öffentlich abgewogen und anschließend versteigert.

Die Waage stand in einerArt Kiosk der auch heute noch in der Hauptstraße steht und eher einem Musikpavillon gleicht. Um Betrügereien zu verhindern, wurden die Schinken von Najac mit einem Warenzeichen geschützt.

Die Industrialisierung der Landwirtschaft führte dazu, daß die Schweine weniger nahrhaft gefüttert wurden als ihre Vorfahren — der Schinken von Najac existiert heute nur noch in der Erinnerung.

Mittlerweile lebt Najac vom Tourismus, und das Fest ist die alljährliche Hauptattraktion.

Samstags und sonntags findet abends in jedem der beiden Viertel ein Ball statt. Es muß nicht erst erwähnt werden, daß man sich im Quartier Bas auf traditionelle Volkstänze beschränkt, während im Quartier Haut, wo die Tanzveranstaltung inmitten der bekannten Vergnügungseinrichtungen fahrender Märkte stattfindet, Hardrock dröhnt.

Das Quartier Bas lockt mit dem Vorteil des alten überdachten Marktes namens La Loge. Die dortige Band besteht aus einem Geiger, einem Akkordeonspieler, einem Percussion-Spieler und einem Allrounder, der von der Flöte bis zum Akkordeon alles beherrscht.

Ein weiterer Vorteil dieser Tanzveranstaltung ist die unmittelbare Nähe eines Cafes, in dem gute Pizzas serviert und die Preise zur Festzeit nicht angehoben werden.

Die Fremden sind sofort zu erkennen. Welcher Tanz auch ansteht — manche haben zugegebenermaßen recht komplizierte Rhythmen und Schritte — die Touristen entscheiden sich immer für den Quickstep.

Sonntag ist fouace-Tag.

Die Besucher versammeln sich nach dem Mittagessen in der Vorstadt. Schauplatz des Geschehens ist eine große Garage. Darin warten zwei Traktoren, die zwei Festwagen mit Backwerk schleppen.

Auf den mit der Trikolore und mit Blumen dekorierten Festwagen sitzen dicht gedrängt die Kinder, die die Zuschauer mit Konfetti bewerfen. Es gibt keine zeremonielle oder formelle Eröffnung.

Sobald die Musikgruppe eintrifft, setzt sich der Zug in Bewegung. Die Gruppe ist von weither gekommen. Sie hat offenkundig große Erfahrung mit solchen Auftritten und versteht sich auf die richtige Mischung von monotoner Ausdruckslosigkeit und zunehmender Ausgelassenheit.

Freunde von Festen dieser Art wissen bald ein Lied von dieser besonderen Form orchestraler Virtuosität zu singen. Der Kapellmeister erklärte mir, daß die Musiker mit der Zeit immer mehr ihren Instrumenten gleichen würden.

Der Hornist ist ein rotbackiger junger Mann, dessen Kopf so rund ist wie sein Blasinstrument, während man dem Schlagzeuger lieber nicht im Dunkeln begegnen möchte.

Wir lassen Schießbuden und Autodrom hinter uns und biegen in die Hauptstraße ein. An heißen Tagen drängen sich die Zuschauer unter den Arkaden, aus dem zweiten Festwagen spritzen boshafte Jugendliche mit Gartenschläuchen Wasser in die Menge und erinnern so an die Narrenfreiheit im Fasching.

Auf dem Hauptplatz beim Schinkenstand schließen sich drei Leierkastenspieler in traditionellen Kostümen und eine Gruppe Volkstänzer mit den schwarzen Hüten und roten Halstüchern der Rouergue der Prozession an.

Der Umzug zwängt sich die steile Straße hinab, die ins Quartier Bas führt. Hier ist der Weg so eng, daß der Mißklang aus Musik und Gejohle der Menge ohrenbetäubend wird.

Wir treffen am Place St. Barthelemy ein, dem tiefsten Punkt von Najac. Hier macht man Halt, um sich bei Musik und Tanz zu entspannen.

Bei Sonnenuntergang beginnt der Fackelzug, der durch dieselben Straßen zieht. Die Bezeichnung Fackelzug ist mißverständlich, da es sich um japanische Lampions handelt, eine Sitte, die 1924 aufkam, als es infolge einer Dürre keine Elektrizität gab, um die Straßen zu beleuchten.

Die bezaubernden Lampions erhalten Verstärkung durch moderne Leuchtfeuer, die stickigen Rauch verbreiten. Aber es lohnt sich, das Hüsteln auf sich zu nehmen, da die zarten Lichter die mittelalterlichen Gebäude wie durch einen Theaternebel sehr exotisch erscheinen lassen.

Das Aufschneiden der fouaces beim bal folklorique erscheint nach diesen orientalischen Eindrücken als krasser Gegensatz. Ein einfacher, großer Tisch steht mit Kuchenstücken und Wein beladen am Rande der Tanzfläche. Das Fest wäre unvollständig, wenn man versäumen würde, dieses Symbol des Widerstandes zu kosten.

Getanzt wird bis in die frühen Morgenstunden. Die Musik wird immer ausgelassener und läßt die Konservenmusik des Quartier Haut seicht und seelenlos erscheinen. Die Klänge vom La Loge bleiben im Gedächnis wie das Schimmern der Lampions und die steinharten, jahrhundertealten fruaces von Najac.