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Feste in Südfrankreich nach Themen - Schafe

 

 

 

 

Schafe in die Berge.

Jedes Jahr laden Magali und Jean Lemercier ihre 2.000 Merinoschafe auf Lastwagen und fahren von Le Grau in der Nähe von Arles zur Pont de la Griorte in Die.

Dies ist eine Transhumanz, wie sie im 20. Jahrhundert abläuft, die Wanderung der Schafe zu den Sommerweiden, wie wir sie in Aubrac am Beispiel der Rinder kennenlernten.

In der gesamten südlichen Hälfte Frankreichs werden die Schafe noch auf herkömmliche Weise in die Berge — die Pyrenäen, die Cevennen und die Alpen getriehen.

Magali trägt überlange wasserdichte Gummistiefel, da die Regenfälle in den Bergen monsunartig sein können.

Früher wurde die Reise zu Fuß unternommen und dauerte mehrere Tage, die Bauern mußten die Zwischenstationen, wo die Schafe rasten und fressen konnten, ins vorhinein aushandeln.

Heute dauert die Reise nach Die nur etwa vier Stunden, dazu kommt je eine Stunde Ver— und Entladung am Ausgangspunkt und am Ziel.

Ohne Lastwagen wäre es Magali und Jean auch nicht möglich, ihre Tiere vor den Autobahnen und Schienen zu schützen oder davon abzuhalten, in die liebevoll gepflegten Gärten entlang des Weges einzufallen.

Die ist jedoch nicht das Endziel der Reise, dieses liegt in den Bergen von Vereors, deren Weiden sich eineinhalb Tagereisen und etwa 1000 Meter über der von Bergen eingeschlossene Stadt befindt.

Es gibt flußab— und aufwärts meilenweit keine andere Brücke über den Fluß, weshalb Die seit vielen Jahren ein traditioneller Zwischenstopp der Transhumanz ist.

Die historische Verbindung der Stadt mit der Schafwanderung wird in der dritten Juniwoche gefeiert.

Das einwöchige Fest versucht, verschiedene Aspekte der mediterranen Kultur zu verbinden, und die Beziehung von Die mit der Provence einerseits und den Bergen andererseits zu zeigen.

Die Organisatoren nennen sich drailles nach der alten Bezeichnung für die Pfade, die die Schafe auf ihrer Wanderschaft benutzen. Geboten werden Dichterlesungen in provenzalischer Sprache, Ausstellungen und vor allem Musik.

Man hat die Wahl zwischen Mussorgsky auf dem Klavier, einer Gruppe namens «Jazz Rock Trad» und einem Crossover, genannt Rap-Provence, der von «Los Trobodors» in der Kathedrale geboten wird.

Doch erst müssen sich die Schafe von der langen, dichtgedrängten Reise auf den Lastwagen erholen, Futter und einen Ruheplatz für die Nacht bekommen.

Man muß ihnen nicht sagen, was sie zu tun haben und wo sie hin sollen — die meisten Mutterschafe sind etwa vier Jahre alt und wissen Bescheid.

Erfreut über die wiedergewonnene Freiheit springen sie von den Transportwagen und laufen auf die Brücke zu, springen übermütig über unsichtbare Hindernisse, wie in Vorfreude auf das üppige Leben, das sie auf den Bergen erwartet.

Die ist eine kompakte Stadt.

Sie drängt sich umgeben von Schutzwällen um ihre im 11. Jahrhundert erbaute Kathedrale. Fahrzeuge werden durch eine Umfahrung ferngehalten, da die Straßen an manchen Stellen so eng sind, daß man dem Nachbarn vom Fenster vis-a-vis die Hände reichen könnte.

Früh versammelt sich die Menge, säumt die engen Straßen oder wartet auf den Balkonen. Die Türen der Läden sind fest verschlossen, um einer etwaigen Invasion der Schafe vorzubeugen.

Nur die Cafes nehmen das Risiko auf sich, und ihr Geschäft floriert. Die Augen aller sind auf jenen Abschnitt der Straße gerichtet, der in die Stadt führt; ein Jongleur auf Stelzen unterhält die Menge. Hunde ziehen in Vorfreude auf ein gutes Stück von einer Lammkeule an den Leinen.

Die Menge verrenkt sich die Hälse, um einen ersten Blick auf die sich nähernden Herden zu erhaschen.

Die Schafe sollen um 8.00 Uhr ankommen, aber um 8.45 Uhr ist noch immer nichts zu sehen. Plötzlich hat es den Anschein, als ob ein rehbrauner Teppich langsam in der schattigen Platanenallee ausgerollt würde.

Die Schafe kommen!

Im Näherrücken gleichen ihre geschorenen Köpfe und Schultern einem Kornfeld, durch das der Mistral fährt.

Vorne ist die Gestalt von Jean Lemercier zu erkennen. Die Prozession, die von einer Volksmusikgruppe eskortiert wird, verlangsamt sich merklich, als sie sich dem enthusiastischen Applaus nähert.

Die Schafböcke tragen Glocken. Je größer die Glocke ist, um so älter ist der Bock. Das Alter wird auch durch ein, zwei oder drei Wollbüschel ausgewiesen, die auf dem Rücken ungeschoren bleiben.

Die Herde wird von einigen Eseln begleitet, einem herrlichen Schimmel, der dem Schafhirten in den Bergen zur Verfügung steht, und ein paar Ziegen, die den Hirten den Sommer über mit Milch und Käse versorgen.

Nun erscheinen die Straßen wie ein Meer aus Schafen und Menschen. Die Menschen mischen sich unter die Herde, versuchen an die Spitze des Zuges zu kommen, andere folgen am Ende oder plaudern mit Magali, der mit drei Hütehunden den Abschluß bildet.

Das Geläute der Schafglocken, das Japsen der frustrierten Hunde und der Applaus der Zaungäste hallen von den Wändern der alten Steinhäuser, während sich die Schlange aus Mutterschafen, Ziegen und Schafböcken zum alten Westtor bewegt.

Nun zieht sich die Prozession fast über die gesamte Länge der Straße — etwa 500 Meter. An deren Ende führt eine schwierige Linkskurve, fast eine Kehrtwendung, die Gruppe zurück zum Marktplatz, wo die Straße breiter wird und vielen Besuchern eine gute Sicht gestattet.

Die Schafe trotten zum Nordtor der Kathedrale, wo sieh die Menschen in den Cafes drängen.

Die Straße verengt sich erneut, und die alte rue de l'Armilliere führt zurück Richtung Osten, wo die Tiere die Stadt betraten. Sie nehmen nicht den gleichen Weg zurück, sondern eine steile Seitenstraße durch das alte Osttor.

Die ist eine massive mittelalterliche Festung, die von zwei runden Steintürmen flankiert und von einem schmalen Bogengang durchbrochen wird.

Die Prozession bewegt sich nun auf das offene Land zu. Die Vorstadt im Norden von Die breitet sieh nicht weit in Richtung der Berge aus.

Ein Glück für die Bewohner, da nur durch die permanente Wachsamkeit der Hunde verhindert werden kann, daß die Schafe innerhalb von fünf Minuten die Arbeit eines Rosenfreundes zerstören, der seine Gartentür offenließ. Die Hunde sind so eifrig darauf bedacht, auf die Schafe aufzupassen, daß ihnen ein Esel entgeht, der kurzen Prozeß mit den Artischocken eines Bauern macht.

Eine Schotterstraße führt von Die in das Dorf Romeyer, vorbei an zahlreichen Walnußbäumen, die hier eine wichtige Frucht liefern.

Es gibt viele Obstgärten, vorbildlich gepflegte Gemüsegärten und auch Zitronenbäume, deren schwerer Duft an Hochsommerabenden so angenehm ist.

Als die Schafe einen Felspfad beschreiten, bilden die Ziegen eine eigene Gruppe und halten sich snobistisch von den Schafen fern. Die Glocken der Schafböcke werden plötzlich durch einen Nachhall verstärkt, das Echo der Rufe der Hirten hallt von den Felsen zurück — die Almweiden dürften nicht mehr weit entfernt sein.

Der Eindruck täuscht, und die Gruppe muß zum Mittagessen auf einem Feld, das zu diesem Zweck beim Dörfchen Les Planeau gebucht wurde, eine Pause einlegen.

Viele begeisterte Besucher sind den Herden gefolgt, manche haben Picknickkörbe dabei. Von hier an wird am Weg zu den Bergalmen noch einmal zur Übernachtung Halt gemacht.

Die Walnußbäume weichen Buchen und Eschen, landwirtschaftlich genutztes Land geht in Wälder über. Die Hügel sind steil, verkümmerte Bäume klammern sich an fast senkrechte Geröllhalden, auf den Bergen wachsen Pinien, die wie Kirchtürme in den Himmel ragen.

Himmel und Erde kommen einander immer näher. Bis auf die gelegentlichen Schreie eines Bussards ist das einzige Geräusch, das zu hören ist, das Bimmeln der Glocken.

Am letzten Morgen erreicht die Herde ihr Ziel, die Weiden auf den Bergen des Nationalparks von Vercors hinter dem Paß Chabrinel.

Hier werden die Schafe bis zum ersten Schnee im Oktober mit dem Schafhirten bleiben. Magali versicherte mir, daß er in seiner Einsamkeit ganz glücklich sei.

Ich fragte sie, ob er Familie hätte. Magali meinte, daß er überzeugter Junggeselle sei, und als ich sie fragte, wie er sich im Winter die Zeit vertreibe, anwortete sie mit der Andeutung eines Lächelns: «Ich vermute, er holt die verlorene Zeit auf‘.» Ist es das, was Proust mit temps perdu meinte ?