Marseille
 
 
 
Paris
Burgund
Tal der Loire
Alpen
Wandern
Bücher Fotos
Hotel
Ferienhaus
Mietwagen
Flüge
Pauschalreisen
Reisepartner
 
 
 

 

Philippe Carrese in Marseille

 

 

 

 

Zwölf Krimis hat der 48-Jährige Philippe Carrese bisher veröffentlicht.

Allesamt Produkte »made in Marseille«, die bei heimischen Streifzügen entstanden sind.

Romane voll von schwarzem Humor, die auf Pariser Pflaster keinen Nährboden gefunden hätten.

Carrese verankert die Geschichten von Mord und Totschlag, von Eifersucht und Habgier in den unterschiedlichsten Milieus.

Er porträtiert die Helden des Alltags aus allen Ecken der Stadt: tratschende Fischverkäufer am Quai; alte Mütterchen in Kittelschürzen, die Miniaturhunde an der kurzen Leine führen; Zuhälter mit Goldkettchen auf schwarzem Brustfell, marokkanische Gauner aus den Elendsvierteln des Nordens, Pfeffersäcke à la marseillaise, die endlose Langeweile verströmen. Alle nah am Klischee angesiedelt, das jedoch stets ironisch gebrochen wird.

Carrese selbst kann als Paradebeispiel für den typischen Marseiller gelten, der seine Rolle spielt, um sogleich aus ihr herauszufallen. Dem ersten Anschein nach ganz ein Mann des Südens: weich gepolsterter Bonvivant von kräftiger Statur, verschmitzter Blick aus dunklen Augen.

Doch aus der Nähe einmalig wie jedermann. Entgegen landläufigen Vorurteilen von qualmenden und Pastis schlürfenden Mittelmeeranrainern hat Carrese das Trinken und Rauchen nie probiert. Anstatt zu palavern, hört er zu. Er ist ein liebevoller und zuweilen spöttischer Chronist seiner Stadt.

Noch bevor die Algerienfranzosen, die Maghrebiner, Senegalesen und Komorer in Marseille andockten, wanderten arbeitssuchende Italiener ein. So kam auch Großvater Carrese zusammen mit Hunderten seiner Landsleute als Tagelöhner im Hafen unter und bezog das Quartier Panier, das älteste Stadtviertel von Marseille. Dort, wo von der Rue du Panier bis zur Vieille Charité das Kleinitalien der unteren Zehntausend lag, spielte sich auch das erste Stück Kindheit des Jungen Philippe ab.

Allerhand hat sich geändert auf Marseilles italienischem Hügel. »Früher war dieses Dorf mitten in der Stadt sich selbst überlassen. Seit ein paar Jahren wird auf- und eingerüstet. Sanierungsgelder fließen, Touristen gehen auf Romantiktour rund um die Vieille Charité, die Immobilienpreise ziehen an«, sagt Carrese und nimmt Witterung auf.

Ihn zieht es sowieso weg vom Gassengewimmel zum freien Himmel - an die Aussichtspunkte mit Meeresblick. Dorthin trieb der soziale Aufstieg schon den Vater, der die Familie im feinen Westen von Marseille einquartierte. Und der Sohn, zur Stadtbekanntheit avanciert, steuert sein Auto lässig die Corniche entlang. Rechts der Küstenstraße schwappt das lapislazuliblaue Mittelmeer, das tatsächlich fast so sauber ist, wie es aussieht. Wegen eines Musterexemplars von Kläranlage, die den Marseillern ungetrübtes Planschvergnügen vor der Haustür ermöglicht und sie von Bademuffeln in Strandgänger verwandelte.

Hier wurde vor zehn Jahren mithilfe schwerer Baufahrzeuge das Freizeitareal Prado aufgeschüttet. Irgendwo musste das Geröll ja bleiben, das nach dem Bau der Metro angefallen war. Eine Anekdote nach Carreses Geschmack: »Hätten wir die Metro nicht, wäre hier die Natur nicht auferstanden. Auch wenn sie noch so künstlich ist.« Und sein Wagen rollt und rollt, als ob Marseille unendlich wäre. Vorbei an Surf- und Segelschulen bis zur Pointe Rouge - einem Strand, der sich seit Carreses Kindertagen kaum verändert hat. Noch immer Fischerhäuschen dicht an dicht, lahm gelegtes Leben auf Badetüchern, der Geruch von gegrillten Sardinen.

Und ein Stück weiter am Hafen von Sormiou endet dann auch noch die Straße. Nichts als karge Felslandschaft und Wasser, das im Himmel verschwimmt. »Auch das ist Marseille: eine Sackgasse, die ins Offene führt«, sagt Carrese. Er traut den Optimisten nicht. Immerhin beträgt die Arbeitslosigkeit noch satte 17 Prozent; die Kriminalitätsrate ist nur geringfügig gesunken. Bevor er für seine nächste Recherche in der Halbwelt abtaucht, warnt Carrese deshalb vor zu vielen Flausen im Kopf: »Die Aufbruchstimmung kann schnell umschlagen. Denn in Marseille ist niemand gegen die nächste Paranoiaattacke gefeit.«

Alles wird gut, denken dagegen Corinne, Youssef und die anderen. Schließlich hat der Tourismus ordentlich zugelegt (von 2,5 Millionen Übernachtungen im Jahr 1993 auf 3,2 Millionen im vergangenen Jahr); der Kreuzfahrthafen ist zu Europas Nummer eins aufgerückt. Im alten Hafen fliegen die Schwalben hoch, und das Abendlicht gießt Pfirsichfarbe über die Fassaden.