|    Das Elsass / Märchen und Legenden
         Märchen und Legenden aus dem Sundgau und anderswoher.  
                
                  |  |  | Die Mutter und das Weihnachtskind |  Im Sundgau sind die Winter immer ziemlich hart. Es war am Abend vor Weihnachten. Ein eisigkalter Wind bliess              den Schnee über die verlassenen Strassen.
  Langsam bewegte sich eine erschöpfte Frau mit ihrem Kind im Arm den                vereisten Feldweg entlang. Am Ende ihrer Kräfte angelangt, hielt sie vor einem Andachtsbild inne und hoffte                auf die Hilfe eines Vorübergehenden. Von Weitem hörte sie tatsächlich die dumpfen Schritte eines Pferdes, das sich im Schnee fortbewegte. Ein grosser Schlitten glitt rasch in der stillen Nacht auf die arme Mutter zu. Ein Mann in einem dicken Pelz sass                hoch oben auf dem Kutschbock.  Es war Herr Sattler, der reiche Pächter aus Oberwill. -„Habt Erbarmen mit mir und meinem Kind ! Nehmt mich nur für eine Nacht in eine Herberge mit" flehte sie                unter Tränen. Von oben herab beschimpfte er jedoch grimmig alle Armen und drosch auf sein Pferd ein:-                „Hinweg, Landstreicher, Galgenvögel !" schrie er wütend. Er setzte seinen Weg fort, ohne sich weiter um sie zu kümmern, und wollte möglichst schnell zu seinem                prächtigen Haus und seiner Dienerschaft gelangen. Als die Mutter aufs schlimmste zitterte, kam kurze Zeit                später vom Weg, der nach Landskron führt, ein Mann und sie erneuerte ihren Hilferuf. -„ Ich bin nicht reich", antwortete er," ich bin nur der Küfer Ambrosy Schwartz,  der von  seiner Arbeit im                Schloss Landskron heimkehrt.  Aber nimm die Hälfte des Inhalts meiner Geldbörse. In dieser Heiligen                Weihnachtsnacht sind wir nämlich alle gleich, und sollen alles teilen !" So gab er ihr drei von den sechs                Kupfermünzen, die er besass. -„ Vergelt's Gott!" sagte die arme Frau und lächelte.  Schliesslich kam nach                einiger Zeit ein altes Weib durch den Schnee, das mühsam ein Bündel mit trockenem Holz für seine Feuerstelle hinter sich herzog. Sie verweilte auf ihren Stock gestützt und hörte sich die Klagen der Mutter an, die starr vor Kälte war. Von                Mitleid erfüllt forderte sie die junge Frau mit ihrem Kind auf, sie ins Dorf zu begleiten. „Ich bin ziemlich                arm," erklärte sie der unglücklichen Frau, „meine Bleibe ist sehr bescheiden, aber warm und freundlich. An diesem Weihnachtsabend sei eingeladen, wer noch unglücklicher ist als man selbst. Ich heisse Sie                willkommen, Sie und Ihr Kind, in meinem schlichten Heim." Nach langem Marsch trafen die beiden Frauen endlich im Dorf ein. Die Alte entfachte ein Feuer in ihrer Feuorstelle, liess ihre Eisenpfanne warm werden und kochte                Brei für das Kind und ein bescheidenes Mahl, das sie mit der Mutter teilte.  Anschliessend schlug sie ihr vor, sich in ihrem Alkoven zur Ruhe zu legen und ging zur Mitternachtsmesse. Als die Glocken zu läuten begannen und die Alte gerade über die Schwelle der wackeligen Tür gehen wollte,                erhob sich die Unglückseelige und verwandelte sich in eine bewundernswerte Madonna.  Sie war von einem                strahlenden Licht umgeben, während Engel in die Hütte eindrangen, sich um sie aufstellten und im himmlischen Chor sangen. Auf ihrem Arm hielt die Madonna das Jesuskind. Die barmherzige alte Gastgeberin fiel auf die                Knie, doch Maria liess sie lächelnd aufstehen: „Sie waren gut und wohltätig, Sie hatten Mitleid mit dem                Unglück einer Mutter und ihres Kindes, Sie sollen belohnt werden und ihr Leben lang und auch im Jenseits                glücklich sein !"  Kaum hatte sich die Alte besonnen, waren die Jungfrau und das Kind verschwunden. Nur das Feuer flackerte lebhafter in der Feuerstelle und auf dem Tisch stand ein Weihnachtskuchen. Die eiserne Pfanne, in der sie die Mahlzeit zubereitet hatte, verwandelte sich in pures Gold. Zu gleicher Zeit fand der Küfer Schwarz, als er nach Hause kam, die drei Kupfermünzen, die er der Armen Seele                gegeben hatte, in seiner Geldbörse als Goldstücke wieder. Nur Sattler, der grausame Pächter, kam nicht auf                seine Kosten.  Die Hälfte seines Viehbestands kam ums Leben und er verlor dabei seine schönste Kuh und seine              grössten Schafe.     |